Die Geschichte des deutschen Telefonalphabets beginnt mit dem Berliner Telefonbuch von 1890. Damals wurden den Buchstaben einfach Zahlen zugeordnet. "Zenz" hat man damals also "Fünfundzwanzig / Fünf / Dreizehn / Fünfunfzwanzig" buchstabiert. Kein Wunder, dass sich das nicht durchsetzen konnte. Seit 1903 gibt es dann Namen für Buchstaben - ein Konzept, dass sowohl mnemotechnisch überlegen ist als auch dem eigentlichen Zweck besser entspricht: präzise Textinformationen störungstolerant weiterzugeben. "Zenz" wird ab 1903 "Zacharias / Emil / Nathan / Zacharias" buchstabiert.
Von kleinen Korrekturen und Ergänzungen abgesehen tut sich in den nächsten zwanzig Jahren nicht viel, auch wenn das Militär versucht, sein eigenes, abweichendes Telefonalphabet als allgemeinen Standard durchzusetzen.
Das ändert sich 1933 mit der Postkarte von Joh. Schliemann:

In Anbetracht des nationalen Umschwungs in Deutschland halte ich es für nicht mehr angebracht, die in der Buchstabiertabelle des Telefonbuchs aufgeführten jüdischen Namen wie David, Nathan, Samuel etc. noch länger beizubehalten (...)

Die Karte wird einen Monat später mit dem Begleitschreiben Anliegend wird ein Schreiben des hiesigen Teilnehmers Joh. Schliemann - 2155/56 - wegen Ausmerzen der in der Buchstabiertafel auf Seite 5 des Fernsprechbuches enthaltenen jüdischen Namen vorgelegt. an die Oberpostdirektion (OPD) Schwerin weitergeleitet.

Einen Tag später gehen die beiden Schreiben an die Oberpostdirektion Berlin - ergänzt um diese Notiz:
Es (das Anschreiben aus Rostock) verkennt hierbei indes, daß es sich um Namen von Männern des alten Testaments handelt, die später nicht nur von Juden, sondern vielfach auch von allgemein angesehenen Männern beider christlicher Konfessionen getragen worden sind. Bei Ausräumung dieser Namen aus der Buchstabiertafel zum augenblicklichen Zeitpunkt kann mit Sicherheit angenommen werden, daß diese Maßnahme nicht nur bei dem Judentum Anstoß erregen, sondern auch bei den Angehörigen der beiden christlichen Konfessionen nicht überall Verständnis finden wird und möglicherweise auch im Ausland Angriffe zu Folge haben würde, die der nationalen Bewegung in Deutschland nicht dienlich sind. Die OPD erachtet daher eine Änderung in der angestrebten Weise zum mindesten jetzt noch nicht für angebracht und beabsichtigt, den Antragsteller durch das Postamt Rostock dahingehend im Wege mündlicher Besprechung bescheiden zu lassen. (...)

Die Angelegenheit landet schließlich am 31. März 1933 auf dem Schreibtisch des Beamten Neugebauer, der einer "Bereinigung" aufgeschlossener gegenübersteht. Er veranlasst den Test "nichtjüdischer" Namen und am 22. April werden die Änderungsvorschläge "Dora, Julius, Nikolaus, Siegfried und Zeppelin" veröffentlicht.

Die befürchteten Reaktionen bleiben nicht aus. Hier die Antwort des OPD auf eine Beschwerde des Reichstagsabgeordneten Jakob Sprenger:
Sehr geehrter Herr Reichsstatthalter!
Die Anregungen, die Buchstabiertafel für den Inlandverkehr von allen biblischen Namen zu reinigen, sind nicht nur von meiner Dienststelle, sondern daneben auch vom Publikum ausgegangen. Auch heute noch gehen Änderungsvorschläge ein, welche die lebhafte Anteilnahme des Publikums an einer Änderung der Buchstabiertafel zeigen.
(...)

Die im Telefonbuch von 1934 dokumentierten Änderungen sind schließlich diese:

Dora, Jot, Nordpol, Siegfried, Zeppelin
(vorher David, Jakob, Nathan, Samuel, Zacharias)

Fritz, Heinz, Toni
(vorher Friedrich, Heinrich, Theodor)

Anton, Bruno, Kurfürst, Ypern, Ärger, Öse, Übel
(vorher Albert, Bernhard, Katharina, Ypsilon, Änderung, Ökonom, Überfluß)

Die Korrektur von "Änderung" zu "Ärger" und von "Überfluß" zu "Übel" läßt immerhin auf eine realistische Selbsteinschätzung schließen.

1948 wird das Telefonalphabet offizell "entnazifiziert" - teilweise jedenfalls. Genauer gesagt bei zwei Buchstaben: Aus "Siegfried" wird wieder "Samuel" und aus "Zeppelin" wieder "Zacharias". Hat wohl nicht richtig geklappt, denn fast jeder verwendet weiter die Namen aus der Nazizeit.
Dafür heißt "Fritz" jetzt wieder "Friedrich", "Heinz" wieder "Heinrich", "Toni" wieder "Theodor", "Bruno" wieder "Berta", "Kurfürst" "Kaufmann" (seit 1950) und "Ypern" wieder "Ypsilon". Die "Öse" wurde zum "Ökonom" und das "Übel" natürlich wieder zum "Übermut". So sind wir Menschen.

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Quelle: Erst lesen - dann einschalten. Zur Geschichte der Gebrauchsanleitung, Clemens Schwender: "S - wie Samuel" (Seiten 70-80). Museum für Post und Kommunikation Berlin, 1997
Zuerst veröffentlicht in: Clemens Schwender:
Wie benutze ich den Fernsprecher - Die Anleitungen zum Telefonieren im Berliner Telefonbuch 1881-1996/97, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 1997